Montag, 28. Mai 2012

aus dem tagebuch eines kunstabhängigen


Büro für Kunstvermittlung
Installationsansicht

wege in die sucht.

1982
heute morgen sind wir (hajrudin und ich) gegen 5.30 uhr in richtung tübingen losgefahren um uns die ausstellung von cezanne`s aquarellen anzuschauen. nach einer langen fahrt voller vorfreude erreichen wir gegen mittag tübingen und springen direkt aus dem wagen hinein in die kunsthalle. bei einem schnellen ersten rundgang durch die ausstellung zeigen sich bei hajrudin, der in seiner krankheit schon weiter fortgeschritten zu sein scheint, schon die ersten symptone. er wirkt wie betäubt vor den aquarellen und schildert auf nachfrage hin, einsetztende kopfschmerzen. hinzu kommen die typischen, nicht zu übersehenden merkmale wie leichtes zittern, nervöses vor- und zurücktreten vor den bildern(bewegungsunruhe), starrer blick und schweißausbrüche. ich bin mir nicht sicher, ob es der lange entzug war, der zu solchen effekten geführt hat oder eine zu hohe dosierung im moment schuld an der sympotmatik ist. ich selber bin noch, gott sei dank, relativ beschwerdefrei. ich schlage deshalb vor, kurz zu unterbrechen und erstmal was im benachbarten restaurant zu essen und einen kaffee zu trinken. ich hoffe, dass die wirkung der cezannedosis ein wenig abflaut und sich die lage etwas entspannen wird, so dass er sich wieder fängt und noch in der lage sein wird uns heil nach hause zu kutschieren. ich bete, dass ich nie so ein kunstjunkie werde.

frühjahr 1986, düsseldorf
wir haben gerade endlos in der schlange vor dieser richterausstellung gestanden. dieser akt, der eine treppe hinuterschreitet, sei guter stoff meint unser dealer in gestalt eines kunstlehrers.wenn ich an die schlange denke, scheint es so, als ob er recht habe. wir werden sehen, ich habe das bild noch nicht entdeckt. aber einen richtigen törn verschafft mir hier im moment nichts. eventuell liegt es aber daran, dass ich mit den ganzen andren junkies hier bin und wir spontan orale plastiken entstehen lassen, die uns einen schnellen kick für zwischen durch verschaffen.

80er paris
hôtel salé, picassomuseum. detlef und ich taumeln benommen durch das labyrinth des irren spaniers. vorhin bemerkte ich angesichts des stierkopfes aus fahrradsattel und -lenker erste anzeichen der krankheit bei detlef. mein gott, der verträgt ja gar nichts. für mich alten junk muß da schon was härteres kommen. aber wie sich schnell herausstellt, werde auch ich bestens bedient und der stoff macht mich ziemlich high. trunken vor glückseeligkeit bemerke ich wie erste zeichen des rausches einsetzen, plötzlich meine ich, die bilder und skulpturen sprächen zu mir, ich höre diese leute in meinem kopf mit mir reden, sie reden ganz klar und deutlich durch die werke dieses spaniers mit mir. mein gott, was ist aus dir geworden. ein armer irrer der stimmen hört. reiß dich zusammen. Betäubt und verwirrt schleppe ich mich weiter durch das musem, hin und hergerissen ziwschen drogenseeliger ekstase und schockartigen zuständen der nüchternheit, in der mir mein eigener elender zustand bewußt wird. ich bin kunstabhängig!

1992, paris, centre george-pompidou
was haben wir den da? le magasin de ben? sieht irgendiwe geil aus. ne olle bretterbude, über und über bedeckt von schrift und zeichen. geil. im innern lauter zettel, bücher usw. geil. geil. in meinem kopf beginnen diese leute, scheinbar höheren wesen, sich immer schneller, lauter und wirrer zu unterhalten. müssen die musen sein. ich zücke einen edding. ein schneller rundblick und, herr breitenstein zum diktat, schreibe etwas in das buch in meiner hand. bin nun ein teil der ewigkeit. schnell raus hier. ben möge mir verzeihen, was er schon getan habe, sagen die musen. zur entspannung glotze ich auf ein paar wandernde leuchtschriften, während ich diese lese, fühle ich mich rund um verstanden und nicke dem autor dieses furiösen werkes innerlich immer wieder applaudierend und bejahend zu. SIE sagen, siehste, es gibt noch leute außer dir, die den durchblick haben. erst viele therapiesitzungen später geht mir die bedeutung dieses trips durch die binsenwahrheiten der frau holzer auf.

2005 bern, kunsthalle,
mein gott, live in your head. hier fing damals alles an. harry`s halle. heiliger boden. historischer boden.. ich atme die geschichte dieses ortes ein, an dem die haltungen form annahmen. endlich habe ich erkannt, dass ich therapieresistient bin. lange phasen, in den immer wieder mal clean war, meist mithilfe von erstazdrogen wie literatur, musik oder philosophie haben sich immer wieder mit schüben abgewechselt, in denen ich die sucht nicht mehr kontollieren konnte. jetzt. hier, an diesem ort, wird mir klar, wahrscheinlich ende ich auf dem kunststrich hinter dem moma als dicker alter stricher, der für ein bißchen kunst alles tut. was habe ich nicht alles versucht, um mir die mittel zu beschaffen, meine sucht zu befriedigen. allerlei bildchen, die aussahen wie kunst bei ebay verkauft, mich selber als künstler ausgegeben und ausstellungen simuliert. hier, an diesem ort bleibt mir nur die blanke selbsterkenntnis, ich bin ein kunstjunkie, die künstler sprechen nicht zu mir aus dem labyrinth jenseits von zeit und raum. es ist die droge, schlimmer als crack, die da spricht. live in your head. kunst. und nun läßt sie mich hier alleine, alleine mit meinem zerfressenden gehirn, das sie angeknabbert hat, lässt mich alleine in der ödnis der wirklichkeit zurück. when attitudes become nightmare.

2005
wieder düsseldorf, wieder richter. lange ist es her.zwischendurch immer nur kleine einzeldosen richter. nie die volle dröhnung. ich habe mitlerweile einige entwöhnungskuren hinter mir und bin doch immer wieder rückfällig geworden. mal sehen, wie richter mich heute kickt. zunächst fremdschämen an der kasse: billy „ the crazy chicken“ fragt, ob wir fotografieren dürften, wir seien eine künstlergruppe. ich kotze mir fast auf die schuhe. beherrsch dich, muß ja nicht jeder sehen was mit dir los ist. erstmal in die heiligen hallen der deutschen hochkultur vorgedrungen, kriege ich angesichts der acht grau einen ziemlichen harten flash verpaßt. mein gott, der stoff ist wirklich gut. was hab ich dir unrecht getan, gerd. die folgenden stunden vergehen im absolut glückseeligen rausch, der wie ein spaziergang mit dyonisos durch arkadien anmutet. kurze konfrontationen mit den anderen abhängigen, was die abstrakten arbeiten der 80er von baumarktkunst unterscheide. diese frage beantworte ich, wie ich finde, total brilliant auf den punkt gebracht, in dem ich sage allein die größe und ihre entstehungszeit. mein gott sieh zu das du klar wirst und knall dir nicht so viel von dem stoff in dir birne, dass du gar nix mehr merkst. hoffentlich komme ich hier unbemerkt raus.

2005 münster
was soll ich machen? abgebrannt, da meine sucht mir den letzten cent aus der tasche zieht und ohne neuen stoff hänge ich in meiner behausung ab und hoffe bald wieder einen abhängigen zu treffen. am besten eine dieser hohlwangigen gestalten, die selber ein wenig dealt. damit er mir eventuell mit ein kunst aushelfen kann, immer die schnellen, leichten kicks der der kataloge helfen mir mehr schlecht als recht über die zeit ohne die aura der kunst. es muß nicht gleich große kunst sein. ein bisschen von diesem halluzinatorischen zustand, den schiller als ästhetisch beschreibt, würde mir ja schon reichen. dazu muß ich mich am besten mal wieder an einen dieser finsteren orte begeben, an denen kunst zu kriegen ist: die museen und galerien. ob ich mich alleine in ein solches fixerstübchen setzte und mich auf einem einsamen trip aufmache, um den verven zu lauschen, die in meinem hirn implantiert sind und unerbittlich palavern oder ob ich mich zu meinem stammdealer an der warendorferstraße schleiche, der immer den guten, harten stoff an der hand hat?
unfähig zu einer entscheidung zu gelangen, beschliesse ich, dass es so nicht weitergehen kann und mein schicksal selbst in die hand zu nehmen. ich werde eine selbsthilfegruppe gründen, die anonymen kunstabhängigen. wider erwarten erscheinen tatsächlich einige dunkle, abgerissene, verdächtig aussehende gestalten auf meine erste anzeige in der lokalen presse. sie geben sich zumeist als studenten der akademie aus, schwere fälle also und berichten nervös und gehetzt von ihrer abhängigkeit. arme säue, ob sie schon ahnen welch finstere wege sie noch erkunden müssen? ich hingegen atme auf, denn ich bin nicht allein. der erste schritt zum drogenfreien leben ist getan.

2007 februar münster
harald funke bittet mich, am 1.3. in der projektbar der skulpurprojekte über meine sucht zu reden, damit anderen abhängigen geholfen werden kann und sie sehen, dass es mittel und wege gibt mit der sucht umzugehen. ich biete ihm an teile meines tagebuches öffentlich zu machen.

Montag, 21. Mai 2012

Ich mache Pause - Performance

Ich mache Pause DA 2012
Berliner Monat der Performance Kunst
Mein Beitrag zum Direct Action Festival 2012 bestand darin, Pause von Kunst und Betrieb zu machen. Statt in die hektische und stressige Grosstadt zu fahren, beschloss ich in der westfälischen Provinz zu verweilen. Ich verbrachte die Zeit - statt mit Kunst - damit Löcher in die Luft zu starren, zu rauchen, Rhabarber-Pie und Bagels zu essen.

Netzpublikation.

This is not an Ipad

This is not an Ipad
Perfromance im Rahmen von Direct Action  2011
Berliner Monat der Perfomancekunst
Ich lese still Bücher und schraube sie anschließend mit einem Akkuschrauber zur Dokumentation auf Leinwand. Dies widme ich all denen, die gerne einmal wieder in Ruhe ein Buch lesen würden, dies aber in der Hektik unserer durch Echtzeitkommunikation beschleunigten Welt nicht mehr schaffen. In der Rolle des eines lesenden Flaneurs nehme ich mir einfach die Freiheit, fern von der verwertungsoptimierten Logik des kapitalistischen Systems, meine Zeit mit dem Lesen von Büchern zu verschwenden und begreife es zugleich als Arbeit. Eine Arbeit, die selbstbestimmt gewählt ist.

Die Bücher können anschließend - anstatt von Grosswild - wie eine Trophäe an die Wand gehängt werden. Hier eine Kostprobe meiner Arbeit, die für den Zuschauer einen Meilenstein des Actionkinos bedeutet: Actionvideo - This is not an Ipad.


Montag, 14. Mai 2012

Ich schaue Kunst auch für Beate Engel (Höhere Wesen befehlen)



Kurz nach 14 Uhr am 04. Okt. 2007 betritt der Kunstbetrachter (im Folgenden „Ich“ genannt) im Auftrag höherer Wesen (Beate Engel) die Galerie von Bernard Bischoff. Dieser ist gerade im Gespräch mit einer Person weiblichen Geschlechtes. Vermutlich eine Künstlerin, aber wer weiß, vielleicht verkauft sie auch nur Seiten im Telefonbuch. Ich werde freundlich begrüßt und stelle im Anschluss an die Begrüßung kurz mein Anliegen dar. Ich sei mit meinem Projekt „ich schaue kunst auch für sie.“ Teilnehmer des Ausstellungsherbstes „Here we are“ im Programm und BeateEngel habe mich beauftragt für sie diese Ausstellung anzuschauen. In diesem Rahmen würde ich gerne einige Fotos von der ausgestellten Kunst machen. Das sei kein Problem, meint Bernhard Bischoff und macht mir noch schnell das Licht an. Nachdem das geschehen ist, fange ich an die Kunst zu betrachten und dies zu dokumentieren. 


Zunächst wende ich mich den in ihrer visuellen Präsenz an die Prilblumen oder Persilwerbung der 70er Jahre erinnernden Bilder und Objekten Dominik Stauchs zu. 
In einer angenehm zurückgenommenen, reduzierten Optik präsentieren sich dort einfarbige Kreise. Deren Überlagerungen, Schnittmengen würde ich sie aufgrund meiner Erfahrungen mit der Mengenlehre nennen, sind in den jeweiligen Mischfarben ausgeführt. Die beiden Bilder erreichen dadurch eine angenehme, luftige Leichtigkeit ohne jedoch ins Seichte abzudriften. Ich drehe mich ein Stück weiter und sehe eine Wandarbeit, die den Loungeartigen, an Clubästhetik erinnernden Eindruck der beiden ersten Arbeiten in meinem Kopf noch verstärkt. Durch die vorgelagerten Objekte wird diese aber auf geschickte Weise gebrochen. Auch bei diesen Objekten handelt es sich oberflächlich um minimalistische Glasmalerei. Durch die dialektische Verwendung eines sichtbaren Duktus thematisiert sich diese Arbeit selbst und befragt so reflexiv das Minimalismusmotiv. Das Spiel mit den Konventionen des Kanons und Erwartungshaltungen des Betrachters ermöglicht es Stauch über reinen Manierismus hinauszugehen und durch die Selbstthematisierung der Arbeiten etwas auch für die Gegenwart relevantes zu schaffen. So entsteht die Frage, was heute künstlerisch noch machbar ist, ohne als Kitsch daher zu kommen. Ich bin erfreut über die angenehm leichte, aber doch hintersinnige Kunst nach all der bedeutungsschwangeren und soziologischen Kunst der Documenta 12.

Im zweiten Teil der Ausstellung werden Arbeiten von Kotscha Reist gezeigt. Als erstes fällt mein Blick auf eine Wand, die mit vielen kleineren Arbeiten, zum Grossteil Zeichnungen, auf Papier gefüllt ist. Entzückt vermeine ich Sigmar Polke zu erkennen, was durch den Begriff „Höhere Wesen“ noch gefördert wird. Nun schaue ich mir die Zeichnungen genauer an und vermeine noch weitere Gestalten aus der Kunstgeschichte zu erkennen. Zum Beispiel den irren Holländer mit dem 'verlorenen' Ohr. Indessen ist auch mein Partner in Crime, Markus Zürcher eingetroffen. Den weise ich vergnügt auf die Polke Zeichnung hin. Ein späterer kurzer Blick auf den Beipackzettel offenbart mir den Titel dieser Wandinstallation: „Heroes and Colleagues“. Der Künstler hat sich hier also eine Art Ahnentafel geschaffen und thematisiert so die alte Frage: „Woher komme ich?“ auf eine absolut praktische und gänzlich nichtmetaphysische Art. Zugleich wird damit ein privater Kanon der Kunstgeschichte etabliert. 
Nice, denke ich beschwingt.

Gegenüber findet sich ein dreidimensionales Objekt, das in zur Schau gestellter Künstlichkeit Würste auf einem Stock zeigt. Wie mir mein Kulturübersetzer und Kunstvermittler Markus mitteilt, handelt es sich dabei um eine beliebte Schweizer Art Wurst (Cervalat) zu essen. Er weist mich aber auch auf kleinere Mängel des Werkes hin, die hauptsächlich die Art der Würste betreffen. Ferner sehe ich noch zwei Gemälde auf denen Reist die Frage nach dem Künstlerischen Akt wieder aufnimmt. Hier geschieht es nicht durch die Darstellung von Kollegen und Helden, sondern durch die quasi serielle Fertigung der Bilder selbst. Ich sehe, dass sie trotz eines gut sichtbaren Duktus dasselbe Motiv in anderer Farbigkeit variieren, wie ich es zum Beispiel von den Siebdrucken Andy Warhols kenne und so die Frage nach der Originalität vom Künstler in den Raum stellen. Was durch die exponierte Stellung des Polke Portraits in der Wandinstallation mit der expliziten Nennung der höheren Wesen noch einmal unterstrichen wird.

Erfreut über diese kleine, aber gelungene Ausstellung verlasse ich die Galerie Bernhard Bischoff.

Dieser Bericht aus dem Leben eines Betrachters ist ausdrücklich zur Vervielfältigung freigegeben.

Sonntag, 13. Mai 2012

Kunst ist zweckfrei - und auch sinnfrei?


The Facifiers - Poolsession
Performance für Video
mit Andy Stauss und Andreas Weber
Kamera & Schnitt: Tassilo Sturm



Ich schaue Kunst für Stephan US


„Ach, was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.


Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.[1]

In der interaktiven Textinstallation  „Bettruhe“ von Stephan US scheint an eben diese bösen Buben appelliert und der Versuch unternommen zu werden, sie durch auf den Fenstern des Cuba Nova angebrachten „weise Lehren“ wie „Ruhe bitte!“, „Halte Deine Stadt sauber!“ oder eben Videoüberwachung zum Guten zu bekehren. Doch wer sind in diesem konkreten Fall Max und Moritz? Hier sind es scheinbar explizit die Szenegänger und Clubbesucher der nächtlichen Tanzveranstaltungen im Cuba Nova, die mit ihren alkoholverstärkten Stimmen die Nachbarschaft an eben jener   wohlverdienten Bettruhe hindern. Lautstark wird sich beim Rauchen vor der Tür unterhalten,
sich voneinander verabschiedet oder einfach nur geflirtet. Zigarettenkippen werden auf dem Boden ausgetreten und bleiben zurück, Flaschen zerspringen klirrend zu Scherben. In diesem Millieu greift der Künstler ein und implantiert seine Textbotschaften auf den Fensterscheiben des Clubs mit denen er sich offensichtlich an die Moral und das Gewissen des Partyvolkes wendet. Unter den eigentlichen Textbotschaften befindet sich eine Telefonnummer, die scheinbar die Funktion hat die Beschwerden gegen Ordnung und  Ruhe  entgegenzunehmen.
Doch was passiert, wenn der geplagte Bürger sich hoffnungsvoll an diese Nummer wendet?
Er geht dem Künstler in die Falle. Denn anstatt dem erhofften Mitarbeiter der Beschwerdehotline, der ihm die ersehnte Ruhe verschafft, hört er wie Stephan US einen Text aus den Heterotopien Michels Foucaults[2] vorliest, in dem dieser über diese anderen Räume, gleichsam Gegenräume, spricht, die für ihn lokalisierte Utopien sind, wie sie Kindern bekannt seien als Indianerzelt auf dem Dachboden oder auch das Bett, in welchem man zwischen den Decken auf dem Meer schwimmen und zugleich auf den Federn in den Himmel springen könne.
Daraus lässt sich schließen, dass ein solcher „anderer“ sozialer Raum also auch in der Achtermannstrasse existiert, hier gelten die Ziele und Regeln des Nachtlebens, des dionysischen Rausches, des Festes, des Tanzes statt der der elterlichen Ruhe und Regeneration.

„- Aber wehe, wehe, wehe,
Wenn ich auf das Ende sehe!!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.“

Das böse Ende scheint den Kindern auch bei Foucault zu drohen, „denn wenn die Eltern zurückkommen, wird man bestraft“. Werden auch die sich amüsierenden, das Leben genießende Nachtschwärmer bestraft und wenn ja, von wem?  Die Nachbarn und das Ordnungsamt könnten hier als die heimkommenden Eltern gelesen werden, die den Kindern verbieten weiterhin so laut zu spielen, die Regeln anzuerkennen  und statt ihnen Stubenarrest zu geben, den Club schließen. In der daraufhin einkehrenden Stille können alle endlich ins Bett gehen  und die Ruhe genießen.

Hier greift eine weitere Doppeldeutigkeit die Künstler in die Arbeit eingebaut hat, nämlich der harmlose Titel. Bettruhe ist etwas nach dem man sich sehnt, dass man braucht, aber von dem zuviel schädlich sein kann, ja sogar krankmachen kann. Durch dieses ironische Maskenspiel des indirekten Sprechaktes hindurch erklingt eine augenzwinkernde Warnung vor allzu einfachen Wahrheiten, die zur Reflektion über die Notwendigkeit gesellschaftlicher Regeln und das eigene Verhältnis dazu einlädt.


[1] Busch, Wilhelm: Max und Moritz, eine Bubengeschichte in 7 Streichen, 67. Aufl., München: Braun u. Schneider, [1917]
[2] Foucault, Michel: Die Heterotopien/ Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt/M: 2005

Der Text erschien im Katalog zu Ausstellung: hbf – häuser | bilder | fenster 2010

Ich schaue Kunst auch für Sie (Johannes Mundinger)

Ich schaue Kunst auch für Sie (Johannes Mundinger)

Der Regen prasselte im immer gleichen Rhythmus ans Fenster. Es war einer dieser langen, öden Morgen im Büro. Ein Tag, an dem das Telefon sich weigert zu schellen und man den Tag am liebsten mit einem ordentlichen Schluck Single Malt aus der Flasche im Schreibtisch beginnen möchte. „Büro für Kunstvermittlung“ stand auf dem Schild an meiner Tür. Aber genauso gut hätte da auch gar nichts stehen können. Einfach eine weitere anonyme Tür wie es sie zu tausenden in dieser und allen anderen Städten der Erde gibt. Wenn schon keinen Whisky, dann wenigsten Kaffee Nummer 135. Zu allem Überdruss saß mir auch noch die Bank im Nacken und ich dachte darüber nach, wie ich an ein paar Kröten kommen konnte, um die nächste Füllung der Kaffeemaschine zu bezahlen.
Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich erhob mich vom Schreibtisch und drückte auf den Summer. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ein brauner Lockenkopf inklusive Piercing schob sich durch die Tür, gefolgt von einem „Libertines“ Shirt , einem Paar Jeans und den unvermeidlichen Chucks.

„Büro für Kunstvermittlung? Bin ich hier richtig?“ „So steht es zumindest an der Tür. Was kann ich für Sie tun?“ „Ich bin da in eine Ausstellung rein geraten und auf einen Künstler gestoßen. Und nun hätte ich gerne Informationen über ihn und seine Arbeit, können Sie mir dabei helfen? Und was würde es kosten?“ „Klar, das kann ich übernehmen. Dafür bin ich ja da. Es kostet allerdings 150 Euro am Tag plus Spesen.“ „Das ist kein Problem.“ kam es zurück und sie legte fünf Hunderter auf den Tisch. Zumindest der Kaffe war gesichert. „Reicht das?“ „Sicher. Um wen geht es denn überhaupt?“ „Er heißt Johannes Mundinger und alles was ich weiß, ist, dass er in Berlin lebt.“ „Ok, das reicht für den Anfang. Lassen Sie ihre Nummer da. Ich melde mich, sobald ich was habe.“ „Danke.“ Sie schrieb ihre Nummer auf ein Post It, erhob sich und ging mit einem nicht zu übertrieben wippendem Hinterteil aus Tür.

Ich steckte mir eine Players an und fragte mich, ob nicht doch so was wie Gott existierte. Ich hatte einen Auftrag. Und damit war ich wieder bei Kasse. Vorläufig. Ok, wie anfangen? Natürlich mit der unvermeidlichen Grundlage jeder Ermittlung: Google. Also verließ ich Youporrn und öffnete die Datenkrake um „Johannes Mundinger“ einzutippen. Das erste was sie ausspuckte war jmundiger.de. „Aktuelle Arbeiten, Projekte und Ausstellungen von Johannes Mundinger, schön übersichtlich in einem Blog versammelt: Illustration und Auzustellendes“ hieß es da.

Ich klickte mich durch die Seite. Ganz schön umtriebig. Und enorm spielfreudig. Aber zunächst brauchte ich ein paar Fakten über diesen Kerl. Mein Verdacht des umtriebigen Künstlers schien sich zu bestätigen: Schon in seinem Geburtsjahr 1982 hatte er erste Gestaltungen durchgeführt. Ich versuchte besser nicht darüber nachzudenken, welcher Art diese gewesen waren. Eine unangenehme Assoziation mit Spinat schoss mir trotzdem durch den Kopf. Dann stand da noch was von Schwarzwald, Offenburg und einem Studium in Lahr, Münster und Brüssel. Der Junge wusste also, was er tat und konnte es sich sparen sich mit üblichen Unschuldsbeteuerrungen herausreden. Diese Vermutung wurde noch durch eine lange Liste von Ausstellungen bestärkt, allerdings kamen mir immer wieder Zweifel, ob er sich nicht lustig machte über diesen ganzen heiligen Vita-Kram des Kunstbetriebes? So stand da etwa unter Preise zu lesen: „1992 Lego-Ritter mit Pferd bei der Weihnachtsverlosung, Herti, Offenburg“. Nicht ganz das, was in einem solchen Zusammenhang erwartet.

Ich wusste also genug, um mir mal näher anzuschauen, was er so trieb. Relativ schnell wurde mir klar, dass er mit Graffiti angefangen hatte und wohl nicht mit klassischen Aktzeichnungen. Auf der Suche nach Erkenntnissen begann ich mir einige davon anzusehen. Sie wirkten auf mich nicht unbedingt wie typischen Vertreter dieses Genre, sondern erinnerten in ihrer Behandlung von Fläche, Form und Linie an Jean Michel Basquiat . Statt der üblichen Buchstabensuppe mit klaren umfassenden Outlines, verselbstständigten sich hier die Linien von der Form zu einem wilden Allover, enthielten die vielschichtigen Bildgründe geometrische Muster, Text- und Satzfragmente, vereinten oft gegensätzliches wie illustrative Elemente voller kindlichen Charme mit harten, kruden aufgetragene Farbflächen und Krakelzeichnungen. Ein dreiäugiges Monster, das aussah wie das uneheliche Kind vom Krümmelmonster und Robert Crumb, tauchte regelmäßig auf. Oftmals popelte es in den Nasen anderer Figuren, die meist skizzenhaften, unfertigen Charakter hatten. Dazu passten auch die einfach auf dem Malgrund gesetzten, zeichenhaften figurativen Elemente, die einfach stehen gelassenen Relikte des Malprozesses wie Läufer und Spritzer. Dadurch entstand ein multidimensionaler Bildraum, der nicht mehr der Illusion von Tiefe und Raum zu erwecken versuchte. Hier war jemand am Werk, der sich nicht mehr beweisen musste, dass er zeichnen konnte Und wusste was er tat. Dabei bediente er sich in souveräner Weise einfach aus dem Zeichenvorrat der Kunstgeschichte und Popkultur. Richtig, mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht: Da war er, der unumstößliche Beweis für meine Vermutung, das Basquiat als Referenzraum für diesen Dschungel auf Zeichen und Farbe diente, denn in einem Akt der Aneignung wurden typische Bildelemente des New Yorkers verwendet. Sogar sein Name stand da zu lesen. Aber es blieb auch hier nicht bei einem epigonenhaften Nachahmen, sondern eigene, scheinbar nicht dazu passende Elemente wie „Krümmelmonster`s Son“ und die „Rote Rübennase“ wurden damit zu einem schmackhaften visuellen Omelette verrührt. Das führte zu einem hetrerogenen, vielstimmigen Gesamtbild, das mich in seiner Freude am maskieren, (re-)mixen und spielen an das Konzept des Karnevals bei Bachtin erinnerte.

Ok, was hatte der Bursche sonst noch zu bieten? In der Hoffnung auf neue Informationen scrollte ich durch die Seiten und blieb an Serien von „Aufklebern“ hängen. Da waren zunächst einmal die Kaugummiautomaten, die im Zeitalter von Telefonkarten- und Kondomautomaten wie Relikte einer längst verlorenen Zeit wirkten und mich ähnlich, wie die Kekse in diesem langweiligen Roman, eine Zeitreise in die eigene Kindheit machen ließen. Verdammt, hatte der Kerl eine verborgene Tür entdeckt, hinter der das Kontinuum von Zeit und Raum nicht mehr existierte? Einfach, indem er ein wenig Papier ausschnitt und es bunt bemalte? Es wurde immer absurder.

Wie um meinen Verdacht zu bestärken waren da auch noch die Schilder. Schilder helfen normalerweise bei der Orientierung, aber diese hier führten eher zu einem Kurzschluss in meinem Kopf. Sie bildeten scheinbar die Wirklichkeit nach und führten doch zugleich eine eigene Existenz, waren die selbstreferentiele gemalte Nachahmung eines mit Stickern beklebten Verkehrsschildes und eben dies: Ein mit echten Stickern beklebtes Schild. Realität und Abbild zugleich. Zuviel für mich. In meinem Schädel begann es zu pochen. Ich rieb mir die Schläfen. Ich machte mir einen Kaffee, steckte ne Fluppe an und gönnte mir ne Pause. Mann, der Typ war nicht zu unterschätzen.

Nach einer Weile hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich weitermachen konnte. Ich beschloss, mir zunächst einmal die „Chatrouletteportraits“ anzuschauen. Anders als die Arbeiten die ich zuvor betrachtet hatte, trugen diese nicht die künstlerische Arbeit in den öffentlichen Raum, sondern die Öffentlichkeit des Internets in den privaten, künstlerischen Prozess. Ähnlich wie bei den Wandbildern agierten hier die einzelnen Bildelemente zwar korrespondierend miteinander, wurden aber weitestgehend autonom verwand. Ihre mit schnellen Strichen hingeworfenen Portraits auf flüchtig koloriert erscheinenden Farbflächen entsprachen sie ganz dem schnelllebigen Medium, aus dem ihre Sujets entnommen waren.
Der digitale Raum erfahrbar gemacht mit analogen Mitteln.

Als ich mich weiter umschaute, stieß ich auf einige Arbeiten, die die Fläche komplett verließen und in Raum expandierten, wie etwa die in ihrer Papp-DIY-Ästhetik an „Science of Sleep“ erinnernde Installation „Produktion Auswurf“. Diese Ästhetik wurde konsequent bei anderen Installationen durchgehalten, zum Beispiel besprühte Kartons bei der Installation „Verfolgungsjagd 2.0“, die eine bespielbare Carerrabahn in ein urbanes Umfeld versetzten oder eine Hütte aus Dachlatten und Kartons in einer Parkanlage aufgebaut war und das Ordnungsamt vor intellektuelle Herausforderungen stellte.

Langsam bekam ich den Eindruck, dass jedes Mittel recht war und die aller profansten Materialen gerade richtig. Am besten noch gepaart mit einer banalen Thematik, wie zum Beispiel in den „Popelbildern“. Ging es hier um die Verweigerung, an einem hehren Kunstbegriff mit aufgeblasenen theoretischen Überbau mitzuwirken? Stand einfach die Freude am machen im Zentrum, ohne darüber nachzudenken, wie die Nachwelt es aufnehmen würde? Popelte der Künstler quasi mit seinem Zeigefinger in meiner Nase herum, um letztendlich die letzten Spuren der grauen Masse in meinen Kopf genüsslich zum Dessert zu verspeisen?

Ich trank einen Schluck Kaffee, nahm den Zettel und wählte die Nummer die darauf stand.
„Ja?“ „Breitenstein. Büro für Kunstvermittlung. Es geht um Johannes Mundinger. Ich will Ihnen kurz einen Zwischenbericht geben. Aber ich muß Sie warnen….“

1. http://de.wikipedia.org/wiki/The_Libertines
2. http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Michel_Basquiat
3. http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Crumb
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Michailowitsch_Bachtin
5. http://de.wikipedia.org/wiki/Science_of_Sleep_%E2%80%93_Anleitung_zum_Tr%C3%A4umen


Der Text erschien in der englischen Fassung im Katalog: His Most Exquisite Elaborations
Johannes Mundinger
herausgegeben von idrawalot
40 Seiten, Softcover,
8.5 x 8.5 inches
 // 21,6 x 21,6 cm
ISBN 978-1468190441

Samstag, 12. Mai 2012

Videotrailer - ich schaue kunst auch für sie.

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ich schaue kunst auch für sie.
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Worte über das Büro


Büro für Kunstvermittlung

Worte zur Kunst

 von Andreas Weber

 

Ich schaue Kunst auch für Sie

Freitag, 19 Uhr. Ausstellungseröffnung in einer kleinen Halle in Münster. Es werden zeitgenössische Positionen einer jungen Konzeptkünstlerin präsentiert. Neben der Künstlerin sind noch ihre Eltern, der Freund, zwei Ausstellungsbesucher, ein Catering Service sowie der Herr Kurator anwesend. Die Künstlerin hat sich in ein quietschbuntes Abendkleid geschmissen, was ihrem Hang zur Nonkonformität Ausdruck verleihen soll. Der Rest der Mannschaft sieht recht normal gekleidet aus. Der Herr Kurator, ein Kunsthistoriker mit Doktortitel trägt ein braunes Cord - Jackett, weil Kunsthistoriker immer ein braunes Cord - Jackett tragen. Die beiden Ausstellungsbesucher gucken sich interessiert um, suchen also die Freigetränke, die auf so einer Vernissage immer gerne in großen Mengen ausgeben werden. Man versucht durch die kostenlose Ausgabe von Sekt und Wein, das geringe Interesse der lokalen Presse und des Publikums wettzumachen. Alles eben wie immer. Gleich wird der Herr Kurator eine Rede halten, man wird ihm für die wohlfeilen Worte danken, noch ein paar Gläschen zusammen trinken und sich dann voneinander verabschieden. So der Plan der Anwesenden. Aber es kommt anders.

Plötzlich öffnet sich eine Tür. Ein kalter Wind weht in die heiligen Hallen der Kunst und trägt einen weiteren Besucher in die Ausstellung. Der Neuling schaut sehr ernst. Überhaupt sieht man gleich, dass es sich um eine Person handelt, die nicht aus reinem Vergnügen diese Veranstaltung besucht. Nein, hier scheint jemand einen Auftrag zu haben. Das sehen alle sofort. Der Mann betrachtet die Arbeiten der Konzeptkünstlerin, schaut sich alles ganz genau an. Dann holt er seine Kamera hervor und bittet einen der beiden Ausstellungsbesucher, ihn doch vor der ein oder anderen Arbeit zu fotografieren. Wie bitte? Der Ausstellungsbesucher begreift nicht das Begehren. Bitte ein Foto, sagt der Fremde. Ein Foto von der Kunst und von mir. Ein Foto, während ich die Kunst schaue, sagt er. Sie haben doch nichts gegen diese Aneignung ihrer Arbeiten, fragt er die Künstlerin.  Da sie noch ganz überrascht über den plötzlichen Auftritt des Mannes ist, nickt sie nur kurz.

So, los geht es. Nein. Halt. Der Mann hat noch was vergessen. Er zieht seine Jacke aus. Jetzt wird den Ausstellungsbesuchern, der Künstlerin, den Eltern der Künstlerin und dem Kurator so einiges klar. Auf dem T - Shirt des Mannes steht seine Aufgabe. Der Mann ist ein Dienstleister. Er schaut Kunst im Auftrag für jemanden. So steht es auch auf dem Textil. Ich schaue Kunst für ... an dieser Stelle verweist das T - Shirt auf eine bekannte lokale Persönlichkeit. Ach so, schallt es durch die Ausstellungshalle. Die anwesenden Gäste, Künstler, Kuratoren und sogar Teile des Catering - Service haben ja schon von dem Mann gehört, der für den gestressten Kunstinteressierten Kunst schaut. Ein vorher ausgehandeltes Honorar, ein fester Vertrag, ein T – Shirt, Fotos zur Ausstellung und nach Wunsch auch noch ein Bericht über das Gesehene. Der Mann ist in der lokalen Kunstszene bekannt.

Der Mann heißt Oliver Breitenstein, Künstler, Kunstvermittler, Dienstleister. Unter anderem einziger Angestellter, in dem sich temporär materialisierendem Büro für Kunstvermittlung. Der Mann, den wir  ab diesem Zeitpunkt also auch bei seinem Namen nennen können, schaut noch eine Weile die Kunst, unterhält sich angeregt mit der Künstlerin und folgt der etwas trockenen Rede des Herrn Kurators. Natürlich wird der Mann, also Oliver Breitenstein, den Kurator später auf die Schwächen seiner Rede hinweisen. Diese waren sicherlich nicht inhaltlich zu finden. Inhaltlich war alles top. Nur es fehlte den ganzen Worten doch sehr dieser Schwung, diese Lust, die Arbeiten der Künstlerin wirklich zu vermitteln, sie dem Publikum näher zu bringen. Ob der Kurator das verstanden hat, weiß er allerdings nicht. Egal er hat sein Foto.

Dann verlässt Oliver Breitenstein den Ausstellungsraum. Allerdings gibt er vorher noch allen Anwesenden seine Karte, also eine Einladungskarte für eine Veranstaltung, die am nächsten Tag stattfinden soll: DSDK – Deutschland sucht den Kunstkenner. Dazu später aber mehr.

Nachdem Herr Breitenstein für seinen Auftraggeber „Kunst geschaut hat“, begibt er sich wieder in sein Atelier. Das Fotomaterial muss gesichtet werden, der Auftraggeber soll auch später noch einen längeren Bericht über Geschaute erhalten. Hierfür muss der Mann allerdings erst einmal ein wenig Ruhen und über das Geschaute nachdenken. Das bleibt eben bei vielen auf der Strecke, das Nachdenken, denkt der Künstler und Kunstvermittler. Natürlich wurde vielen ein Grundgerüst Kunstwissen  vermittelt. Videokunst, Performance, Appropriation Art, Konzeptkunst, ästhetische Theorie. Alles schon mal gehört. Auswendig gelernt. Daten und Fakten gespeichert. Für den richtigen Moment liegen sie zum Abruf bereit, genauso wie mancher auch alle Flüssen von A bis Z für „Stadt Land Fluss“ auswendig gelernt hat. Ja, da können seine „DSDK - Kandidaten“ morgen mal richtig vom Leder lassen, denkt Herr Breitenstein, freut sich auf das morgige Kunststück und genießt die Ruhe seines Atelier. Metakunst ist Kunst, die über die Bedingungen von Kunst und künstlerischem Schaffen reflektiert, denkt der Kunstvermittler vielleicht noch, bevor ihm auf einem einfachen Schemel die Augen beim Reflektieren zufallen.

Büro für Kunstvermittlung


Donnerstag, 16 Uhr. Ein Tag bevor Oliver Breitenstein Kunst in einer kleinen Ausstellungshalle schaut. Delegieren Sie Ihren Ausstellungsbesuch, während Sie bei einem Latte Macchiato entspannen oder Fußball schauen. Was soll der Blödsinn, denkt der Kunstinteressierte, als er den Text der Anzeige in seinem Stadtmagazin liest. Neben dem Text ist ein Foto abgebildet, auf dem ein Mann mit einem Schild in der Hand vor einem Ausstellungsraum steht. Auf dem Schild ist zu lesen: „Ich schaue Kunst auch für Sie!“
Doch als der Kunstinteressierte ein wenig länger über die Angebot nachdenkt, kommen ihm Zweifel, ob das wirklich alles Blödsinn ist. Ja, er fragt sich sogar, ob das Angebot nicht auch für ihn von Interesse sein könnte. Zum einen hat er tatsächlich nicht immer die Ruhe und Zeit alles zu sehen, was er sehen möchte. Zum anderen erscheint es ihm  spannend, die Kunst auch einmal aus den Augen (und nicht nur Augen) eines Künstlers wahrzunehmen. Ja, die Betrachtung der Kunst selbst erscheint dem Kunstinteressiert als ein kreativer Akt.
Natürlich will sich der Kunstinteressierte erst einmal erkundigen, wenn er da vor sich hatte. Wer dieser Kunstvermittler und Künstler Oliver Breitenstein eigentlich ist. Schnell stößt der Kunstinteressierte auf das ausführende Büro von Oliver Breitenstein, welches verschiedene Dienstleistungen zum Thema anbietet.
Unter dem Namen Büro für Kunstvermittlung hat Oliver Breitenstein in den letzten Jahren diverse Projekte durchgeführt, die  man generell als Kunstvermittlung verstehen darf, aber auch gleichzeitig selber künstlerische Praxis sind. „Ich schaue Kunst auch für Sie“, „Nehmen Sie Kunst ernst?“, „DSDK – Deutschland sucht den Kunstkenner“ oder  „Stammtisch der Selbsthilfegruppe der Anonymen Kunstabhängigen" heißen die Kunst vermittelnden, aber auch künstlerischen Aktionen des Büros für Kunstvermittlung. Immer wieder wird in den Aktionen, Arbeiten, künstlerischen Dienstleistungen oder den Performance die Frage nach der Rolle des Künstler, des Publikums und der Kunst an sich gestellt. Oft liegt der Arbeit des Büros für Kunstvermittlung dabei vorgefundenes ästhetisches Material zu Grunde. Fragen nach der Autorenschaft, dem Original und der Kopie und dem geistigen Eigentum werden in den Projekten problematisiert. 
Der Kunstinteressierte ist überzeugt. Er ruft also die angegebene Nummer an und bucht die Dienstleistung „Ich schaue Kunst auch für sie“ und sendet Oliver Breitenstein zu einer Ausstellung in einer kleinen Halle in Münster, die er leider nicht selbst erleben kann, da er am nächsten Tag Latte Macchiato trinken und Fußball schauen muss.

 

DSDK – Deutschland sucht den Kunstkenner


Samstag, 20 Uhr. Einen Tag nach einer Ausstellungseröffnung in einer kleinen Halle in Münster. „Meine Damen und Herren, wir freuen uns sehr, Sie zu unserer Game Show DSDK begrüßen zu dürfen. Wieder einmal stellen sich verschiedene Kandidaten den Fragen des Moderators und können ihre Eignung als Kunstkenner unter Beweis stellen. Begrüßen Sie nun mit herzlichen Applaus ihren Moderator Oliver Breitenstein.“

Herr Breitenstein betritt die Bühne und erklärt dem neugierigem Publikum sein Format: Deutschland sucht den Kunstkenner. Zusammengefasst erklärt er uns: DSDK ist ein partizipatives Projekt, welches sich einem der Schlüsselthemen unserer Gesellschaft widmet: der Bildung. Es ermöglicht so eine optimierte Freizeitgestaltung. Bei diesem Projekt erhalten die Betrachter die Möglichkeit, als Kandidaten einer Game Show ihre Eignung als Rezipienten aktueller Kunst im Wettbewerb mit anderen zu überprüfen.

Die Kandidaten dürfen ihre Kompetenz in verschiedenen Bereichen der Kunst unter Beweis zu stellen. Dies geschieht anhand verschiedener Fragen zur Theorie und Praxis zeitgenössischer Kunst. Natürlich spielt auch das Glück bei dem Gewinnspiel eine Rolle. Auf einer großen Matrix kann das Themengebiet gewählt werden. Der Moderator wird folgend das gewählte Feld auf der Matrix öffnen und dem Kandidaten, die Frage präsentieren. Biografische Angaben zu einem Künstler können ebenso wie Schlüsselbegriffe des aktuellen Kunstdiskurses abgefragt werden. Nach einer bestimmten Zeit muss der Kandidat die Frage beantworten, sonst wird sie automatisch als „nicht beantwortet“ gewertet. Hier liegt eine gewollte Nähe zur erfolgreichen Quiz Show „Der Große Preis“ mit Wim Thoelke. Gleichzeitig verbirgt sich hinter dem Titel der Game Show eine versteckte Anlehnung an eine große deutsche Casting Show.

Im Gegensatz zu der Casting Show, die von einem großen Pop-Titan ins Leben gerufen wurde, kann der Gewinner der DSDK Show aber keinen Plattenvertrag gewinnen. Dafür erhält der Sieger  einen der begehrten DSDK Pokale – ein großes Glas „Neue Deutsche Malerei in Öl“. Aber auch die restlichen Kandidaten müssen nicht mit leeren Händen nach Hause gehen. Hier nähert sich DSDK wieder dem Thoelke Erfolgsrezept „Der große Preis“. Denn alle Teilnehmer sind Gewinner. So werden sämtliche Teilnehmer der Abendveranstaltung mit einer kleineren Ausgabe von "Neuer Deutscher Malerei in Öl“ ausgezeichnet.

Mit Konzepten wie DSDK verbindet das Büro für Kunstvermittlung die Fragen der Autorenschaft spielerisch und ironisch mit popkulturellen Themen. Massenkompatible Erfolgsprogramme aus der Unterhaltungsindustrie werden mit dem Zeichensatz der Kunst verwendet und hinterfragt. Die Kunst wird einerseits zur Game Show, zum großen Event, andererseits eignet sich das Büro für Kunstvermittlung Erfolgsrezepte aus der Popkultur an und verwendet sie in einem künstlerischen Kontext.

Verfolgungsjagden, Stammtische und Therapien


Stellen Sie sich vor, Sie spielen den ganzen Nachmittag in einem Ausstellungsraum mit einer riesigen Carrera Bahn. Auf großen Leinwänden laufen im Hintergrund verschiedene Verfolgungsjagdszenen aus bekannten Filmklassikern. Zu nennen ist hier auf jeden Fall Bullit mit Steve McQueen und Tarantinos Death Proof mit Kurt Russell alias Stuntman Mike.
Sie befinden sich mitten in einem Kunstprojekt des Büros für Kunstvermittlung, in dem wiederum Fragen der Autorenschaft mit Werkzeugen und Mitteln der Popkultur behandelt werden. Ähnlich wie bei DSDK wird auch in Verfolgungsjagd 2.0 zitiert und kopiert was das Zeug hält. Auch hier stellt das Büro für Kunstvermittlung teilweise ironisch, teilweise humorvoll die Frage nach der Rolle des Künstlers und was Kunst sei.

Und wiederum oder gerade jetzt hat der Kunstinteressierte, der vielleicht schon spielsüchtig geworden ist, am Ende noch viel mehr Fragen. Gerne möchte er diese in einem kleinen Kreis besprechen. Darunter sicher auch die Fragen, die man sich selten traut, laut auszusprechen. Hochkultur oder Popkultur? Kunst oder Kitsch? Wo soll das bloß alles hinführen? Das ist doch nur eine Carrera Bahn? Darf den Kunst Spaß machen? Gibt es hier auch Freigetränke?

Doch auch in solchen Fällen bietet das Büro für Kunstvermittlung eine Dienstleistung an. Der Kunstvermittler Oliver Breitenstein versteht sich auch als Leiter einer Selbsthilfegruppe. Beim Stammtisch der Selbsthilfegruppe der anonymen Kunstabhängigen dürfen alle Fragen gestellt werden. Der Kunstinteressierte braucht sich seiner Unkenntnis nicht zu schämen. Schon in DSDK hatte das Büro für Kunstvermittlung gezeigt, dass jeder ein Gewinner ist und das Abrufen des schulischen Kunstwissens wenig Bedeutung hat.  Der Stammtisch der Selbsthilfegruppe der anonymen Kunstabhängigen bietet ein Forum für Diskussionen und ist sowohl für den Künstler als auch den Kunstinteressierten offen.Natürlich hat sich innerhalb des Stammtisches noch eine weitere Spezies herausgeschält. Das Büro für Kunstvermittlung muss zugeben, an diese in der ersten Planungsphase gar nicht gedacht zu haben. Es handelt sich um diesen Typ von Künstler, der die wahnhafte Vorstellung hat, Kunst produzieren zu müssen. Versuchte Oliver Breitenstein am Anfang diese beim Stammtisch der Selbsthilfegruppe der anonymen Kunstabhängigen zu integrieren, musste er und sein Büro schnell erkennen, das für die Betroffenen Einzelsitzungen unausweichlich sind. Nur eine intensive Therapie des Leidenden kann hier langfristig Milderung, teilweise sogar Heilung verschaffen.
Aus dieser Einsicht hat das Büro für Kunstvermittlung die Praxis für kunstpathologische Störungen eröffnet, die ihren Schwerpunkt in der Gesprächstherapie sieht.
In einem Pressetext heisst es hierzu: Der Therapeut hilft Ihnen mit großem Erfolg bei der aktiven Überwindung von akuten und chronischen Zwangsvorstellungen, Kunstwerke ausstellen zu wollen und weist den Einsichtigen einen Weg zurück in das, was als gemeinhin bürgerliches Leben bezeichnet wird. Sie werden bei der sinnvollen Strukturierung ihres Alltages unterstützt, um Sie so wieder in die Gesellschaft zu integrieren und Ihnen zu ermöglichen, ein normales und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Kunstbox - Museum für extreme Kunst


Wenn der Betrachter zum Künstler wird, der Künstler in die Therapie muss, der Kunstabhängige auf einem Stammtisch Gehör findet, erscheint einem die Welt schon ziemlich auf den Kopf gestellt. Doch das Büro für Kunstvermittlung hat noch eine Spezies gefunden, die auf den ersten Blick kunstresistent zu sein scheint: den Schüler. Und wir sprechen hier nicht von dem Schüler, der freiwillig den Worten seines Lehrer folgt, sondern dem gemeinen jugendlichen Schüler, der das Diktat der Schulausbildung als schlimmes Leid empfindet und der die Kunst und dem vermittelnden Kunstunterricht gar nichts positives abgewinnen kann.
Für und mit diesen Schülern entwickelte das Büro für Kunstvermittlung die Kunstbox - Museum für extreme Kunst -, in dem Bau, Kunst und Kunstvermittlung in einer Hand liegen: in Schülerhand.

Während der regulären Öffnungszeiten hat das Publikum die Möglichkeit von den Schülern durch die Kunstbox geführt zu werden und mit ihnen Fragen rund um die Kunst zu diskutieren. Die Schüler, so betonte das Büro für Kunstvermittlung in einer großen lokalen Tageszeitung, lernen durch die Kunstbox, dass Kunst eine Sache ist, mit der sie selbst etwas zu tun haben.

In der Welt, die das Büro für Kunstvermittlung mit seinen Dienstleistungen bedient, verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst, Künstler, Kunstmarkt, Hoch- und Popkultur, Schüler und Lehrer. Aber gerade durch die Transformation der einzelnen Protagonisten in andere Rollen, tauchen neue Fragen und Antworten auf. Die Art der Kunstvermittlung bei Oliver Breitenstein ist immer auch selbst künstlerische Praxis. Der spielerische, teilweise ironische Blick des Büros für Kunstvermittlung und seiner Dienstleistungen öffnen Hintertürchen, um über die Bedingungen von Kunst und künstlerischem Schaffen nachzudenken. Und manchmal wird man einfach in seine neue Rolle hinein geworfen und hat gar keine andere Möglichkeit, als sich mit den ganzen Fragen auseinanderzusetzen.

Wahrheit - Kunst

ne kurze überlegung zum begriff der wahrheit von zizek - im hinterkopf haben wir immer den kleinen band "wozu wahrheit?" von donald davidson & richard rorty mitlaufen. zizek sagt grob: " wahrheit ist für mich die erkenntnis der tatsächlichen machtverhältnisse, die die gesellschaft bestimmen und der ideologie( wir blenden das buzzword postideologisch kurz aus - anmerkung des vermittlers), die verhindern, dass gesellschaft soziale und politische freiheit verwirklicht." und ideologien machten menschen zu subjekten("unterorfenen"). "ein *unterworfenes subjekt* ist jemand, der sich an die regeln und ideale hält, die die sprache(auch kunst ist ne form von sprache - anmerkung des herausgebers) die kommunikation und den austausch - mithin hin "die symbolische ordnung" bestimmen, ohne sich ihrer voll bewußt zu sein. (quelle: slavoj zizek - ein sachcomic von ch. KUL-wait & PIERO zu empfehlen).

wir halten kurz inne und goutieren die uns dargebotenen filetstücke. dann fragen wir uns, was bedeutet das für kultur und insbesondere für kunst? eben, wir sind unterworfen, wenn wir alles so machen, wie es uns die "autorität" beibringt - zum beispiel: akademien, galerien, museen, kritiker - auch konditionierung genannt. zumindest, wenn wir nicht darüber nachdenken, warum wir das tun und warum es so ist. wenn wir einfach durch einen blueprint (der unter anderem durch die kunstpornos wie kunstforum, monopol, freeze, art und viele mehr vorgegeben wird )dem hinterhechelen. warum, nicht wieder die idiosynkratische sprache sprechen? sprich den genie gedanken wieder einführen, aber halt , da kommt der alte kant mit dem guten alten ludwig w. im schlepptau: genie bedeutet eben nicht wie ein irrer reiter auf einem durchgedrehten pferd daherzukommen, sondern man muss wiedererkennbare vokabeln und grammatik(sprachspiel) benutzen, sonst ist das brabbeln eines idioten. auch wenn szemmann(RIP) gefordet hat, dass es jetzt gälte die spinner zu finden.

was also tun? es bleibt nichts anderes übrig, als zu spielen. spielen mit den vokabeln, die vorhanden sind und diese samples zu remixen, um so das ideologische in der kunst zu befragen und in frage zu stellen. auch unser bild von kunst nicht anzubeten, sondern es ketzerisch in frage zu stellen. dazu gehört aber etwas, welches ich hier mal als gesundes selbstbewußtsein, besser selbstwertgefühl, bezeichenen möchte: die überzeugung, das die eigene existenz und das eigene tun ein völlig gleichberechtiger zugang zur realität und welt ist. beides ist nicht vorgebenes und endgültig abgeschlossens, sondern ein projekt an dem wir alle teilhaben, ein partzipatorisches projekt im kunstsprech.

ende der übertragung.