Montag, 28. Mai 2012

aus dem tagebuch eines kunstabhängigen


Büro für Kunstvermittlung
Installationsansicht

wege in die sucht.

1982
heute morgen sind wir (hajrudin und ich) gegen 5.30 uhr in richtung tübingen losgefahren um uns die ausstellung von cezanne`s aquarellen anzuschauen. nach einer langen fahrt voller vorfreude erreichen wir gegen mittag tübingen und springen direkt aus dem wagen hinein in die kunsthalle. bei einem schnellen ersten rundgang durch die ausstellung zeigen sich bei hajrudin, der in seiner krankheit schon weiter fortgeschritten zu sein scheint, schon die ersten symptone. er wirkt wie betäubt vor den aquarellen und schildert auf nachfrage hin, einsetztende kopfschmerzen. hinzu kommen die typischen, nicht zu übersehenden merkmale wie leichtes zittern, nervöses vor- und zurücktreten vor den bildern(bewegungsunruhe), starrer blick und schweißausbrüche. ich bin mir nicht sicher, ob es der lange entzug war, der zu solchen effekten geführt hat oder eine zu hohe dosierung im moment schuld an der sympotmatik ist. ich selber bin noch, gott sei dank, relativ beschwerdefrei. ich schlage deshalb vor, kurz zu unterbrechen und erstmal was im benachbarten restaurant zu essen und einen kaffee zu trinken. ich hoffe, dass die wirkung der cezannedosis ein wenig abflaut und sich die lage etwas entspannen wird, so dass er sich wieder fängt und noch in der lage sein wird uns heil nach hause zu kutschieren. ich bete, dass ich nie so ein kunstjunkie werde.

frühjahr 1986, düsseldorf
wir haben gerade endlos in der schlange vor dieser richterausstellung gestanden. dieser akt, der eine treppe hinuterschreitet, sei guter stoff meint unser dealer in gestalt eines kunstlehrers.wenn ich an die schlange denke, scheint es so, als ob er recht habe. wir werden sehen, ich habe das bild noch nicht entdeckt. aber einen richtigen törn verschafft mir hier im moment nichts. eventuell liegt es aber daran, dass ich mit den ganzen andren junkies hier bin und wir spontan orale plastiken entstehen lassen, die uns einen schnellen kick für zwischen durch verschaffen.

80er paris
hôtel salé, picassomuseum. detlef und ich taumeln benommen durch das labyrinth des irren spaniers. vorhin bemerkte ich angesichts des stierkopfes aus fahrradsattel und -lenker erste anzeichen der krankheit bei detlef. mein gott, der verträgt ja gar nichts. für mich alten junk muß da schon was härteres kommen. aber wie sich schnell herausstellt, werde auch ich bestens bedient und der stoff macht mich ziemlich high. trunken vor glückseeligkeit bemerke ich wie erste zeichen des rausches einsetzen, plötzlich meine ich, die bilder und skulpturen sprächen zu mir, ich höre diese leute in meinem kopf mit mir reden, sie reden ganz klar und deutlich durch die werke dieses spaniers mit mir. mein gott, was ist aus dir geworden. ein armer irrer der stimmen hört. reiß dich zusammen. Betäubt und verwirrt schleppe ich mich weiter durch das musem, hin und hergerissen ziwschen drogenseeliger ekstase und schockartigen zuständen der nüchternheit, in der mir mein eigener elender zustand bewußt wird. ich bin kunstabhängig!

1992, paris, centre george-pompidou
was haben wir den da? le magasin de ben? sieht irgendiwe geil aus. ne olle bretterbude, über und über bedeckt von schrift und zeichen. geil. im innern lauter zettel, bücher usw. geil. geil. in meinem kopf beginnen diese leute, scheinbar höheren wesen, sich immer schneller, lauter und wirrer zu unterhalten. müssen die musen sein. ich zücke einen edding. ein schneller rundblick und, herr breitenstein zum diktat, schreibe etwas in das buch in meiner hand. bin nun ein teil der ewigkeit. schnell raus hier. ben möge mir verzeihen, was er schon getan habe, sagen die musen. zur entspannung glotze ich auf ein paar wandernde leuchtschriften, während ich diese lese, fühle ich mich rund um verstanden und nicke dem autor dieses furiösen werkes innerlich immer wieder applaudierend und bejahend zu. SIE sagen, siehste, es gibt noch leute außer dir, die den durchblick haben. erst viele therapiesitzungen später geht mir die bedeutung dieses trips durch die binsenwahrheiten der frau holzer auf.

2005 bern, kunsthalle,
mein gott, live in your head. hier fing damals alles an. harry`s halle. heiliger boden. historischer boden.. ich atme die geschichte dieses ortes ein, an dem die haltungen form annahmen. endlich habe ich erkannt, dass ich therapieresistient bin. lange phasen, in den immer wieder mal clean war, meist mithilfe von erstazdrogen wie literatur, musik oder philosophie haben sich immer wieder mit schüben abgewechselt, in denen ich die sucht nicht mehr kontollieren konnte. jetzt. hier, an diesem ort, wird mir klar, wahrscheinlich ende ich auf dem kunststrich hinter dem moma als dicker alter stricher, der für ein bißchen kunst alles tut. was habe ich nicht alles versucht, um mir die mittel zu beschaffen, meine sucht zu befriedigen. allerlei bildchen, die aussahen wie kunst bei ebay verkauft, mich selber als künstler ausgegeben und ausstellungen simuliert. hier, an diesem ort bleibt mir nur die blanke selbsterkenntnis, ich bin ein kunstjunkie, die künstler sprechen nicht zu mir aus dem labyrinth jenseits von zeit und raum. es ist die droge, schlimmer als crack, die da spricht. live in your head. kunst. und nun läßt sie mich hier alleine, alleine mit meinem zerfressenden gehirn, das sie angeknabbert hat, lässt mich alleine in der ödnis der wirklichkeit zurück. when attitudes become nightmare.

2005
wieder düsseldorf, wieder richter. lange ist es her.zwischendurch immer nur kleine einzeldosen richter. nie die volle dröhnung. ich habe mitlerweile einige entwöhnungskuren hinter mir und bin doch immer wieder rückfällig geworden. mal sehen, wie richter mich heute kickt. zunächst fremdschämen an der kasse: billy „ the crazy chicken“ fragt, ob wir fotografieren dürften, wir seien eine künstlergruppe. ich kotze mir fast auf die schuhe. beherrsch dich, muß ja nicht jeder sehen was mit dir los ist. erstmal in die heiligen hallen der deutschen hochkultur vorgedrungen, kriege ich angesichts der acht grau einen ziemlichen harten flash verpaßt. mein gott, der stoff ist wirklich gut. was hab ich dir unrecht getan, gerd. die folgenden stunden vergehen im absolut glückseeligen rausch, der wie ein spaziergang mit dyonisos durch arkadien anmutet. kurze konfrontationen mit den anderen abhängigen, was die abstrakten arbeiten der 80er von baumarktkunst unterscheide. diese frage beantworte ich, wie ich finde, total brilliant auf den punkt gebracht, in dem ich sage allein die größe und ihre entstehungszeit. mein gott sieh zu das du klar wirst und knall dir nicht so viel von dem stoff in dir birne, dass du gar nix mehr merkst. hoffentlich komme ich hier unbemerkt raus.

2005 münster
was soll ich machen? abgebrannt, da meine sucht mir den letzten cent aus der tasche zieht und ohne neuen stoff hänge ich in meiner behausung ab und hoffe bald wieder einen abhängigen zu treffen. am besten eine dieser hohlwangigen gestalten, die selber ein wenig dealt. damit er mir eventuell mit ein kunst aushelfen kann, immer die schnellen, leichten kicks der der kataloge helfen mir mehr schlecht als recht über die zeit ohne die aura der kunst. es muß nicht gleich große kunst sein. ein bisschen von diesem halluzinatorischen zustand, den schiller als ästhetisch beschreibt, würde mir ja schon reichen. dazu muß ich mich am besten mal wieder an einen dieser finsteren orte begeben, an denen kunst zu kriegen ist: die museen und galerien. ob ich mich alleine in ein solches fixerstübchen setzte und mich auf einem einsamen trip aufmache, um den verven zu lauschen, die in meinem hirn implantiert sind und unerbittlich palavern oder ob ich mich zu meinem stammdealer an der warendorferstraße schleiche, der immer den guten, harten stoff an der hand hat?
unfähig zu einer entscheidung zu gelangen, beschliesse ich, dass es so nicht weitergehen kann und mein schicksal selbst in die hand zu nehmen. ich werde eine selbsthilfegruppe gründen, die anonymen kunstabhängigen. wider erwarten erscheinen tatsächlich einige dunkle, abgerissene, verdächtig aussehende gestalten auf meine erste anzeige in der lokalen presse. sie geben sich zumeist als studenten der akademie aus, schwere fälle also und berichten nervös und gehetzt von ihrer abhängigkeit. arme säue, ob sie schon ahnen welch finstere wege sie noch erkunden müssen? ich hingegen atme auf, denn ich bin nicht allein. der erste schritt zum drogenfreien leben ist getan.

2007 februar münster
harald funke bittet mich, am 1.3. in der projektbar der skulpurprojekte über meine sucht zu reden, damit anderen abhängigen geholfen werden kann und sie sehen, dass es mittel und wege gibt mit der sucht umzugehen. ich biete ihm an teile meines tagebuches öffentlich zu machen.

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