Sonntag, 13. Mai 2012

Ich schaue Kunst auch für Sie (Johannes Mundinger)

Ich schaue Kunst auch für Sie (Johannes Mundinger)

Der Regen prasselte im immer gleichen Rhythmus ans Fenster. Es war einer dieser langen, öden Morgen im Büro. Ein Tag, an dem das Telefon sich weigert zu schellen und man den Tag am liebsten mit einem ordentlichen Schluck Single Malt aus der Flasche im Schreibtisch beginnen möchte. „Büro für Kunstvermittlung“ stand auf dem Schild an meiner Tür. Aber genauso gut hätte da auch gar nichts stehen können. Einfach eine weitere anonyme Tür wie es sie zu tausenden in dieser und allen anderen Städten der Erde gibt. Wenn schon keinen Whisky, dann wenigsten Kaffee Nummer 135. Zu allem Überdruss saß mir auch noch die Bank im Nacken und ich dachte darüber nach, wie ich an ein paar Kröten kommen konnte, um die nächste Füllung der Kaffeemaschine zu bezahlen.
Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich erhob mich vom Schreibtisch und drückte auf den Summer. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ein brauner Lockenkopf inklusive Piercing schob sich durch die Tür, gefolgt von einem „Libertines“ Shirt , einem Paar Jeans und den unvermeidlichen Chucks.

„Büro für Kunstvermittlung? Bin ich hier richtig?“ „So steht es zumindest an der Tür. Was kann ich für Sie tun?“ „Ich bin da in eine Ausstellung rein geraten und auf einen Künstler gestoßen. Und nun hätte ich gerne Informationen über ihn und seine Arbeit, können Sie mir dabei helfen? Und was würde es kosten?“ „Klar, das kann ich übernehmen. Dafür bin ich ja da. Es kostet allerdings 150 Euro am Tag plus Spesen.“ „Das ist kein Problem.“ kam es zurück und sie legte fünf Hunderter auf den Tisch. Zumindest der Kaffe war gesichert. „Reicht das?“ „Sicher. Um wen geht es denn überhaupt?“ „Er heißt Johannes Mundinger und alles was ich weiß, ist, dass er in Berlin lebt.“ „Ok, das reicht für den Anfang. Lassen Sie ihre Nummer da. Ich melde mich, sobald ich was habe.“ „Danke.“ Sie schrieb ihre Nummer auf ein Post It, erhob sich und ging mit einem nicht zu übertrieben wippendem Hinterteil aus Tür.

Ich steckte mir eine Players an und fragte mich, ob nicht doch so was wie Gott existierte. Ich hatte einen Auftrag. Und damit war ich wieder bei Kasse. Vorläufig. Ok, wie anfangen? Natürlich mit der unvermeidlichen Grundlage jeder Ermittlung: Google. Also verließ ich Youporrn und öffnete die Datenkrake um „Johannes Mundinger“ einzutippen. Das erste was sie ausspuckte war jmundiger.de. „Aktuelle Arbeiten, Projekte und Ausstellungen von Johannes Mundinger, schön übersichtlich in einem Blog versammelt: Illustration und Auzustellendes“ hieß es da.

Ich klickte mich durch die Seite. Ganz schön umtriebig. Und enorm spielfreudig. Aber zunächst brauchte ich ein paar Fakten über diesen Kerl. Mein Verdacht des umtriebigen Künstlers schien sich zu bestätigen: Schon in seinem Geburtsjahr 1982 hatte er erste Gestaltungen durchgeführt. Ich versuchte besser nicht darüber nachzudenken, welcher Art diese gewesen waren. Eine unangenehme Assoziation mit Spinat schoss mir trotzdem durch den Kopf. Dann stand da noch was von Schwarzwald, Offenburg und einem Studium in Lahr, Münster und Brüssel. Der Junge wusste also, was er tat und konnte es sich sparen sich mit üblichen Unschuldsbeteuerrungen herausreden. Diese Vermutung wurde noch durch eine lange Liste von Ausstellungen bestärkt, allerdings kamen mir immer wieder Zweifel, ob er sich nicht lustig machte über diesen ganzen heiligen Vita-Kram des Kunstbetriebes? So stand da etwa unter Preise zu lesen: „1992 Lego-Ritter mit Pferd bei der Weihnachtsverlosung, Herti, Offenburg“. Nicht ganz das, was in einem solchen Zusammenhang erwartet.

Ich wusste also genug, um mir mal näher anzuschauen, was er so trieb. Relativ schnell wurde mir klar, dass er mit Graffiti angefangen hatte und wohl nicht mit klassischen Aktzeichnungen. Auf der Suche nach Erkenntnissen begann ich mir einige davon anzusehen. Sie wirkten auf mich nicht unbedingt wie typischen Vertreter dieses Genre, sondern erinnerten in ihrer Behandlung von Fläche, Form und Linie an Jean Michel Basquiat . Statt der üblichen Buchstabensuppe mit klaren umfassenden Outlines, verselbstständigten sich hier die Linien von der Form zu einem wilden Allover, enthielten die vielschichtigen Bildgründe geometrische Muster, Text- und Satzfragmente, vereinten oft gegensätzliches wie illustrative Elemente voller kindlichen Charme mit harten, kruden aufgetragene Farbflächen und Krakelzeichnungen. Ein dreiäugiges Monster, das aussah wie das uneheliche Kind vom Krümmelmonster und Robert Crumb, tauchte regelmäßig auf. Oftmals popelte es in den Nasen anderer Figuren, die meist skizzenhaften, unfertigen Charakter hatten. Dazu passten auch die einfach auf dem Malgrund gesetzten, zeichenhaften figurativen Elemente, die einfach stehen gelassenen Relikte des Malprozesses wie Läufer und Spritzer. Dadurch entstand ein multidimensionaler Bildraum, der nicht mehr der Illusion von Tiefe und Raum zu erwecken versuchte. Hier war jemand am Werk, der sich nicht mehr beweisen musste, dass er zeichnen konnte Und wusste was er tat. Dabei bediente er sich in souveräner Weise einfach aus dem Zeichenvorrat der Kunstgeschichte und Popkultur. Richtig, mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht: Da war er, der unumstößliche Beweis für meine Vermutung, das Basquiat als Referenzraum für diesen Dschungel auf Zeichen und Farbe diente, denn in einem Akt der Aneignung wurden typische Bildelemente des New Yorkers verwendet. Sogar sein Name stand da zu lesen. Aber es blieb auch hier nicht bei einem epigonenhaften Nachahmen, sondern eigene, scheinbar nicht dazu passende Elemente wie „Krümmelmonster`s Son“ und die „Rote Rübennase“ wurden damit zu einem schmackhaften visuellen Omelette verrührt. Das führte zu einem hetrerogenen, vielstimmigen Gesamtbild, das mich in seiner Freude am maskieren, (re-)mixen und spielen an das Konzept des Karnevals bei Bachtin erinnerte.

Ok, was hatte der Bursche sonst noch zu bieten? In der Hoffnung auf neue Informationen scrollte ich durch die Seiten und blieb an Serien von „Aufklebern“ hängen. Da waren zunächst einmal die Kaugummiautomaten, die im Zeitalter von Telefonkarten- und Kondomautomaten wie Relikte einer längst verlorenen Zeit wirkten und mich ähnlich, wie die Kekse in diesem langweiligen Roman, eine Zeitreise in die eigene Kindheit machen ließen. Verdammt, hatte der Kerl eine verborgene Tür entdeckt, hinter der das Kontinuum von Zeit und Raum nicht mehr existierte? Einfach, indem er ein wenig Papier ausschnitt und es bunt bemalte? Es wurde immer absurder.

Wie um meinen Verdacht zu bestärken waren da auch noch die Schilder. Schilder helfen normalerweise bei der Orientierung, aber diese hier führten eher zu einem Kurzschluss in meinem Kopf. Sie bildeten scheinbar die Wirklichkeit nach und führten doch zugleich eine eigene Existenz, waren die selbstreferentiele gemalte Nachahmung eines mit Stickern beklebten Verkehrsschildes und eben dies: Ein mit echten Stickern beklebtes Schild. Realität und Abbild zugleich. Zuviel für mich. In meinem Schädel begann es zu pochen. Ich rieb mir die Schläfen. Ich machte mir einen Kaffee, steckte ne Fluppe an und gönnte mir ne Pause. Mann, der Typ war nicht zu unterschätzen.

Nach einer Weile hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich weitermachen konnte. Ich beschloss, mir zunächst einmal die „Chatrouletteportraits“ anzuschauen. Anders als die Arbeiten die ich zuvor betrachtet hatte, trugen diese nicht die künstlerische Arbeit in den öffentlichen Raum, sondern die Öffentlichkeit des Internets in den privaten, künstlerischen Prozess. Ähnlich wie bei den Wandbildern agierten hier die einzelnen Bildelemente zwar korrespondierend miteinander, wurden aber weitestgehend autonom verwand. Ihre mit schnellen Strichen hingeworfenen Portraits auf flüchtig koloriert erscheinenden Farbflächen entsprachen sie ganz dem schnelllebigen Medium, aus dem ihre Sujets entnommen waren.
Der digitale Raum erfahrbar gemacht mit analogen Mitteln.

Als ich mich weiter umschaute, stieß ich auf einige Arbeiten, die die Fläche komplett verließen und in Raum expandierten, wie etwa die in ihrer Papp-DIY-Ästhetik an „Science of Sleep“ erinnernde Installation „Produktion Auswurf“. Diese Ästhetik wurde konsequent bei anderen Installationen durchgehalten, zum Beispiel besprühte Kartons bei der Installation „Verfolgungsjagd 2.0“, die eine bespielbare Carerrabahn in ein urbanes Umfeld versetzten oder eine Hütte aus Dachlatten und Kartons in einer Parkanlage aufgebaut war und das Ordnungsamt vor intellektuelle Herausforderungen stellte.

Langsam bekam ich den Eindruck, dass jedes Mittel recht war und die aller profansten Materialen gerade richtig. Am besten noch gepaart mit einer banalen Thematik, wie zum Beispiel in den „Popelbildern“. Ging es hier um die Verweigerung, an einem hehren Kunstbegriff mit aufgeblasenen theoretischen Überbau mitzuwirken? Stand einfach die Freude am machen im Zentrum, ohne darüber nachzudenken, wie die Nachwelt es aufnehmen würde? Popelte der Künstler quasi mit seinem Zeigefinger in meiner Nase herum, um letztendlich die letzten Spuren der grauen Masse in meinen Kopf genüsslich zum Dessert zu verspeisen?

Ich trank einen Schluck Kaffee, nahm den Zettel und wählte die Nummer die darauf stand.
„Ja?“ „Breitenstein. Büro für Kunstvermittlung. Es geht um Johannes Mundinger. Ich will Ihnen kurz einen Zwischenbericht geben. Aber ich muß Sie warnen….“

1. http://de.wikipedia.org/wiki/The_Libertines
2. http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Michel_Basquiat
3. http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Crumb
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Michailowitsch_Bachtin
5. http://de.wikipedia.org/wiki/Science_of_Sleep_%E2%80%93_Anleitung_zum_Tr%C3%A4umen


Der Text erschien in der englischen Fassung im Katalog: His Most Exquisite Elaborations
Johannes Mundinger
herausgegeben von idrawalot
40 Seiten, Softcover,
8.5 x 8.5 inches
 // 21,6 x 21,6 cm
ISBN 978-1468190441

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen