„Ach, was muß man oft
von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.[1]“
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.[1]“
In der interaktiven Textinstallation „Bettruhe“ von Stephan US scheint an eben
diese bösen Buben appelliert und der Versuch unternommen zu werden, sie durch auf
den Fenstern des Cuba Nova angebrachten „weise Lehren“ wie „Ruhe bitte!“,
„Halte Deine Stadt sauber!“ oder eben Videoüberwachung zum Guten zu bekehren. Doch
wer sind in diesem konkreten Fall Max und Moritz? Hier sind es scheinbar explizit
die Szenegänger und Clubbesucher der nächtlichen Tanzveranstaltungen im Cuba
Nova, die mit ihren alkoholverstärkten Stimmen die Nachbarschaft an eben
jener wohlverdienten Bettruhe hindern.
Lautstark wird sich beim Rauchen vor der Tür unterhalten,
sich voneinander verabschiedet oder einfach nur geflirtet.
Zigarettenkippen werden auf dem Boden ausgetreten und bleiben zurück, Flaschen
zerspringen klirrend zu Scherben. In diesem Millieu greift der Künstler ein und
implantiert seine Textbotschaften auf den Fensterscheiben des Clubs mit denen
er sich offensichtlich an die Moral und das Gewissen des Partyvolkes wendet.
Unter den eigentlichen Textbotschaften befindet sich eine Telefonnummer, die
scheinbar die Funktion hat die Beschwerden gegen Ordnung und Ruhe
entgegenzunehmen.
Doch was passiert, wenn der geplagte Bürger sich
hoffnungsvoll an diese Nummer wendet?
Er geht dem Künstler in die Falle. Denn anstatt dem
erhofften Mitarbeiter der Beschwerdehotline, der ihm die ersehnte Ruhe
verschafft, hört er wie Stephan US einen Text aus den Heterotopien Michels
Foucaults[2]
vorliest, in dem dieser über diese anderen Räume, gleichsam Gegenräume,
spricht, die für ihn lokalisierte Utopien sind, wie sie Kindern bekannt seien
als Indianerzelt auf dem Dachboden oder auch das Bett, in welchem man zwischen
den Decken auf dem Meer schwimmen und zugleich auf den Federn in den Himmel
springen könne.
Daraus lässt sich schließen, dass ein solcher „anderer“ sozialer
Raum also auch in der Achtermannstrasse existiert, hier gelten die Ziele und
Regeln des Nachtlebens, des dionysischen Rausches, des Festes, des Tanzes statt
der der elterlichen Ruhe und Regeneration.
„- Aber wehe, wehe,
wehe,
Wenn ich auf das Ende sehe!!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.“
Wenn ich auf das Ende sehe!!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.“
Das böse Ende scheint den Kindern auch bei Foucault zu
drohen, „denn wenn die Eltern zurückkommen, wird man bestraft“. Werden auch die
sich amüsierenden, das Leben genießende Nachtschwärmer bestraft und wenn ja, von
wem? Die Nachbarn und das Ordnungsamt
könnten hier als die heimkommenden Eltern gelesen werden, die den Kindern
verbieten weiterhin so laut zu spielen, die Regeln anzuerkennen und statt ihnen Stubenarrest zu geben, den
Club schließen. In der daraufhin einkehrenden Stille können alle endlich ins
Bett gehen und die Ruhe genießen.
Hier greift eine weitere Doppeldeutigkeit die Künstler in
die Arbeit eingebaut hat, nämlich der harmlose Titel. Bettruhe ist etwas nach
dem man sich sehnt, dass man braucht, aber von dem zuviel schädlich sein kann,
ja sogar krankmachen kann. Durch dieses ironische Maskenspiel des indirekten
Sprechaktes hindurch erklingt eine augenzwinkernde Warnung vor allzu einfachen
Wahrheiten, die zur Reflektion über die Notwendigkeit gesellschaftlicher Regeln
und das eigene Verhältnis dazu einlädt.
[1] Busch, Wilhelm: Max und
Moritz, eine Bubengeschichte in 7 Streichen, 67. Aufl., München: Braun u.
Schneider, [1917]
[2] Foucault, Michel: Die Heterotopien/ Der utopische Körper. Zwei
Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem
Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt/M: 2005
Der Text erschien im Katalog zu Ausstellung: hbf – häuser | bilder | fenster 2010
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