Ich schaue Kunst auch für Sie (Johannes Mundinger)
Der Regen
prasselte im immer gleichen Rhythmus ans Fenster. Es war einer dieser
langen, öden Morgen im Büro. Ein Tag, an dem das Telefon sich weigert zu
schellen und man den Tag am liebsten
mit einem ordentlichen Schluck Single Malt aus der Flasche im
Schreibtisch beginnen möchte. „Büro für Kunstvermittlung“ stand auf dem
Schild an meiner Tür. Aber genauso gut hätte da auch gar nichts stehen
können. Einfach eine weitere anonyme Tür wie es sie zu tausenden in
dieser und allen anderen Städten der Erde gibt. Wenn schon keinen
Whisky, dann wenigsten Kaffee Nummer 135. Zu allem Überdruss saß mir
auch noch die Bank im Nacken und ich dachte darüber nach, wie ich an ein
paar Kröten kommen konnte, um die nächste Füllung der Kaffeemaschine zu
bezahlen.
Die Türklingel riss mich aus meinen Gedanken. Ich erhob
mich vom Schreibtisch und drückte auf den Summer. Kurze Zeit später
öffnete sich die Tür und ein brauner Lockenkopf inklusive Piercing schob
sich durch die Tür, gefolgt von einem „Libertines“ Shirt , einem Paar
Jeans und den unvermeidlichen Chucks.
„Büro für
Kunstvermittlung? Bin ich hier richtig?“ „So steht es zumindest an der
Tür. Was kann ich für Sie tun?“ „Ich bin da in eine Ausstellung rein
geraten und auf einen Künstler gestoßen. Und nun hätte ich gerne
Informationen über ihn und seine Arbeit, können Sie mir dabei helfen?
Und was würde es kosten?“ „Klar, das kann ich übernehmen. Dafür bin ich
ja da. Es kostet allerdings 150 Euro am Tag plus Spesen.“ „Das ist kein
Problem.“ kam es zurück und sie legte fünf Hunderter auf den Tisch.
Zumindest der Kaffe war gesichert. „Reicht das?“ „Sicher. Um wen geht es
denn überhaupt?“ „Er heißt Johannes Mundinger und alles was ich weiß,
ist, dass er in Berlin lebt.“ „Ok, das reicht für den Anfang. Lassen Sie
ihre Nummer da. Ich melde mich, sobald ich was habe.“ „Danke.“ Sie
schrieb ihre Nummer auf ein Post It, erhob sich und ging mit einem nicht
zu übertrieben wippendem Hinterteil aus Tür.
Ich steckte mir
eine Players an und fragte mich, ob nicht doch so was wie Gott
existierte. Ich hatte einen Auftrag. Und damit war ich wieder bei Kasse.
Vorläufig. Ok, wie anfangen? Natürlich mit der unvermeidlichen
Grundlage jeder Ermittlung: Google. Also verließ ich Youporrn und
öffnete die Datenkrake um „Johannes Mundinger“ einzutippen. Das erste
was sie ausspuckte war jmundiger.de. „Aktuelle Arbeiten, Projekte und
Ausstellungen von Johannes Mundinger, schön übersichtlich in einem Blog
versammelt: Illustration und Auzustellendes“ hieß es da.
Ich
klickte mich durch die Seite. Ganz schön umtriebig. Und enorm
spielfreudig. Aber zunächst brauchte ich ein paar Fakten über diesen
Kerl. Mein Verdacht des umtriebigen Künstlers schien sich zu bestätigen:
Schon in seinem Geburtsjahr 1982 hatte er erste Gestaltungen
durchgeführt. Ich versuchte besser nicht darüber nachzudenken, welcher
Art diese gewesen waren. Eine unangenehme Assoziation mit Spinat schoss
mir trotzdem durch den Kopf. Dann stand da noch was von Schwarzwald,
Offenburg und einem Studium in Lahr, Münster und Brüssel. Der Junge
wusste also, was er tat und konnte es sich sparen sich mit üblichen
Unschuldsbeteuerrungen herausreden. Diese Vermutung wurde noch durch
eine lange Liste von Ausstellungen bestärkt, allerdings kamen mir immer
wieder Zweifel, ob er sich nicht lustig machte über diesen ganzen
heiligen Vita-Kram des Kunstbetriebes? So stand da etwa unter Preise zu
lesen: „1992 Lego-Ritter mit Pferd bei der Weihnachtsverlosung, Herti,
Offenburg“. Nicht ganz das, was in einem solchen Zusammenhang erwartet.
Ich wusste also genug, um mir mal näher anzuschauen, was er so trieb.
Relativ schnell wurde mir klar, dass er mit Graffiti angefangen hatte
und wohl nicht mit klassischen Aktzeichnungen. Auf der Suche nach
Erkenntnissen begann ich mir einige davon anzusehen. Sie wirkten auf
mich nicht unbedingt wie typischen Vertreter dieses Genre, sondern
erinnerten in ihrer Behandlung von Fläche, Form und Linie an Jean Michel
Basquiat . Statt der üblichen Buchstabensuppe mit klaren umfassenden
Outlines, verselbstständigten sich hier die Linien von der Form zu einem
wilden Allover, enthielten die vielschichtigen Bildgründe geometrische
Muster, Text- und Satzfragmente, vereinten oft gegensätzliches wie
illustrative Elemente voller kindlichen Charme mit harten, kruden
aufgetragene Farbflächen und Krakelzeichnungen. Ein dreiäugiges Monster,
das aussah wie das uneheliche Kind vom Krümmelmonster und Robert Crumb,
tauchte regelmäßig auf. Oftmals popelte es in den Nasen anderer
Figuren, die meist skizzenhaften, unfertigen Charakter hatten. Dazu
passten auch die einfach auf dem Malgrund gesetzten, zeichenhaften
figurativen Elemente, die einfach stehen gelassenen Relikte des
Malprozesses wie Läufer und Spritzer. Dadurch entstand ein
multidimensionaler Bildraum, der nicht mehr der Illusion von Tiefe und
Raum zu erwecken versuchte. Hier war jemand am Werk, der sich nicht mehr
beweisen musste, dass er zeichnen konnte Und wusste was er tat. Dabei
bediente er sich in souveräner Weise einfach aus dem Zeichenvorrat der
Kunstgeschichte und Popkultur. Richtig, mein erster Eindruck hatte mich
nicht getäuscht: Da war er, der unumstößliche Beweis für meine
Vermutung, das Basquiat als Referenzraum für diesen Dschungel auf
Zeichen und Farbe diente, denn in einem Akt der Aneignung wurden
typische Bildelemente des New Yorkers verwendet. Sogar sein Name stand
da zu lesen. Aber es blieb auch hier nicht bei einem epigonenhaften
Nachahmen, sondern eigene, scheinbar nicht dazu passende Elemente wie
„Krümmelmonster`s Son“ und die „Rote Rübennase“ wurden damit zu einem
schmackhaften visuellen Omelette verrührt. Das führte zu einem
hetrerogenen, vielstimmigen Gesamtbild, das mich in seiner Freude am
maskieren, (re-)mixen und spielen an das Konzept des Karnevals bei
Bachtin erinnerte.
Ok, was hatte der Bursche sonst noch zu
bieten? In der Hoffnung auf neue Informationen scrollte ich durch die
Seiten und blieb an Serien von „Aufklebern“ hängen. Da waren zunächst
einmal die Kaugummiautomaten, die im Zeitalter von Telefonkarten- und
Kondomautomaten wie Relikte einer längst verlorenen Zeit wirkten und
mich ähnlich, wie die Kekse in diesem langweiligen Roman, eine
Zeitreise in die eigene Kindheit machen ließen. Verdammt, hatte der Kerl
eine verborgene Tür entdeckt, hinter der das Kontinuum von Zeit und
Raum nicht mehr existierte? Einfach, indem er ein wenig Papier
ausschnitt und es bunt bemalte? Es wurde immer absurder.
Wie um
meinen Verdacht zu bestärken waren da auch noch die Schilder. Schilder
helfen normalerweise bei der Orientierung, aber diese hier führten eher
zu einem Kurzschluss in meinem Kopf. Sie bildeten scheinbar die
Wirklichkeit nach und führten doch zugleich eine eigene Existenz, waren
die selbstreferentiele gemalte Nachahmung eines mit Stickern beklebten
Verkehrsschildes und eben dies: Ein mit echten Stickern beklebtes
Schild. Realität und Abbild zugleich. Zuviel für mich. In meinem Schädel
begann es zu pochen. Ich rieb mir die Schläfen. Ich machte mir einen
Kaffee, steckte ne Fluppe an und gönnte mir ne Pause. Mann, der Typ war
nicht zu unterschätzen.
Nach einer Weile hatte ich mich so weit
beruhigt, dass ich weitermachen konnte. Ich beschloss, mir zunächst
einmal die „Chatrouletteportraits“ anzuschauen. Anders als die Arbeiten
die ich zuvor betrachtet hatte, trugen diese nicht die künstlerische
Arbeit in den öffentlichen Raum, sondern die Öffentlichkeit des
Internets in den privaten, künstlerischen Prozess. Ähnlich wie bei den
Wandbildern agierten hier die einzelnen Bildelemente zwar
korrespondierend miteinander, wurden aber weitestgehend autonom verwand.
Ihre mit schnellen Strichen hingeworfenen Portraits auf flüchtig
koloriert erscheinenden Farbflächen entsprachen sie ganz dem
schnelllebigen Medium, aus dem ihre Sujets entnommen waren.
Der digitale Raum erfahrbar gemacht mit analogen Mitteln.
Als ich mich weiter umschaute, stieß ich auf einige Arbeiten, die die
Fläche komplett verließen und in Raum expandierten, wie etwa die in
ihrer Papp-DIY-Ästhetik an „Science of Sleep“ erinnernde Installation
„Produktion Auswurf“. Diese Ästhetik wurde konsequent bei anderen
Installationen durchgehalten, zum Beispiel besprühte Kartons bei der
Installation „Verfolgungsjagd 2.0“, die eine bespielbare Carerrabahn in
ein urbanes Umfeld versetzten oder eine Hütte aus Dachlatten und Kartons
in einer Parkanlage aufgebaut war und das Ordnungsamt vor
intellektuelle Herausforderungen stellte.
Langsam bekam ich den
Eindruck, dass jedes Mittel recht war und die aller profansten
Materialen gerade richtig. Am besten noch gepaart mit einer banalen
Thematik, wie zum Beispiel in den „Popelbildern“. Ging es hier um die
Verweigerung, an einem hehren Kunstbegriff mit aufgeblasenen
theoretischen Überbau mitzuwirken? Stand einfach die Freude am machen im
Zentrum, ohne darüber nachzudenken, wie die Nachwelt es aufnehmen
würde? Popelte der Künstler quasi mit seinem Zeigefinger in meiner Nase
herum, um letztendlich die letzten Spuren der grauen Masse in meinen
Kopf genüsslich zum Dessert zu verspeisen?
Ich trank einen Schluck Kaffee, nahm den Zettel und wählte die Nummer die darauf stand.
„Ja?“ „Breitenstein. Büro für Kunstvermittlung. Es geht um Johannes
Mundinger. Ich will Ihnen kurz einen Zwischenbericht geben. Aber ich muß
Sie warnen….“
1. http://de.wikipedia.org/wiki/The_Libertines
2. http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Michel_Basquiat
3. http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Crumb
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Michailowitsch_Bachtin
5. http://de.wikipedia.org/wiki/Science_of_Sleep_%E2%80%93_Anleitung_zum_Tr%C3%A4umen
Der Text erschien in der englischen Fassung im Katalog: His Most Exquisite Elaborations
Johannes Mundinger
herausgegeben von idrawalot
40 Seiten, Softcover,
8.5 x 8.5 inches
// 21,6 x 21,6 cm
ISBN 978-1468190441
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen