Sonntag, 11. November 2012

i would prefer not to ... be creative.


Der große Ausverkauf
Ach, was muß man oft von kreativen
Menschen hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen;
Aber wehe, wehe, wehe!
Wenn ich auf das Ende sehe!!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging!





Kreativität ist heute ein "must have", ja sogar ein "must want". Oder um es mal in deutscher Sprache auszudrücken, wir können es uns heute nicht erlauben zu sagen: "Kreativ? Nein, tut mir leid bin ich nicht und will ich nicht sein." Während es lange Zeit absolut in Ordnung war, wenn man in aller Ruhe sein Leben gelebt hat ohne besonders originell oder kreativ zu sein, ist heute das komplette Bild vertauscht. Da fragen wir uns doch, wie konnte es passieren, dass der imaginäre Befehl: "Sei kreativ!" permanent in unseren Köpfen wummert?


Kreative Schaufenstergestaltung, die schreit: "Kauf mich!"
Kreativität findet sich heute in vielen Dingen, von unglaublich kreativen "Outfits", über richtig kreative Strickarbeiten der beliebten "mach es doch selbst" Manie bis hin zu der kreativen Nutzung unserer Sprache durch die urbanen, nachhaltigen Politikdarsteller der Postdemokratie. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen und welche Ideologie steckt dahinter? Und ist diese Entwicklung wirklich so positiv wie uns die Köpfe der Kreativwirtschaft, die Marketingagenturen, weismachen wollen?

Werfen wir mal einen kurzen, fragmentarischen Blick zurück in die Vergangenheit. Da sehen wir eine Welt, in der die meisten Menschen in einer festen sozialen Rolle stecken. Sie machen sich keine Gedanken darüber, wer sie sind und was sie tun möchten, sondern versuchen schlicht und ergreifend innerhalb des feudalistischen Ordnung zu überleben. Denn schließlich ist diese - inklusive der Stände -  ja von Gott gegeben.(*1)

Wir überspringen jetzt kurz mal so Kleinigkeiten wie die Erfindung des Buchdrucks, die Französische Revolution usw. und konzentrieren uns auf die Romantik, nicht die von Abendessen bei Kerzenschein und roten Rosen, sondern die kulturgeschichtliche Epoche. Der gute alte, konservative Romantiker war nämlich von etwas ganz besonders geflasht: dem Geniekult. Der Einfachheit und auch der Lesbarkeit halber  knapsen wir jetzt hier die einschlägigen Zitate von Burke und dem alten "reiner Geist - no Begehren" Preussen Kant mal ab und fokussieren unseren Blick auf das, was damals geschah.


Dieses Kunstwerk wird präsentiert von
Die Romantik umfasste eine Ästhetik, die versuchte das ganze Leben einzuschließen, sich gegen die "Pure Vernunft" wandte und für die vor allem der Ironiebegriff wichtig war. Ironie bedeutet hier nun nicht platte Sprüche klopfen im Sinne Stephan Raabs, sondern meint - mit der Gnade der späten Geburt formuliert - zwei besonders wichtige Punkte: zunächst einmal das Reflektieren der Künstlichkeit der  eigenen Werke, also das Offenlegen des Gemachtsein (neudeutsch: Reflektion der Produktionsbedingungen/ Selbstreferentialität), als ein Beispiel sei hier mal einfach Tiecks "Gestiefelter Kater" in die Runde geworfen und zum anderen ein Ironiebegriff, der mit dem Kern der romantischen Ästhetik eng verwoben ist und in dem wir einen Vorläufer von Richrad Rorty zu erkennen meinen: Das Recht und die Möglichkeit sich ständig neu zu erfinden, als Reaktion auf das Bewußtsein der eigenen Endlichkeit und die mannigfaltigen Einflüsse der umgebenden Welt. Und damit wären wir auch schon beim Genie und dem Schöpferkult des ganzen angelangt: Der spießige Romantiker ist nämlich überzeugt, dass das wichtigste im Leben das Schöpferische ist und er selbst jemand besonderes, aus dem die Kreativität nur so sprudelt und der niemanden Rechenschaft abzulegen hat, da er dann eben unter Umständen ein mißverstandenes Genie werden würde. Er dagegen ist ein gottähnliches Wesen, nur sich selbst und seinem Werk verpflichtet. Deshalb kann er sich selbst auch immer wieder neu entwerfen und gestalten (da fallen uns doch glatt die Vorwürfe des alten Fitz N. gegen die Künstler ein). Er gibt sich ganz seinen schöpferischen Einfällen hin.

Dieses ästhetisches Selbstbild, dass nicht an einen Kern oder Essenz der Persönlichkeit glaubt -abgesehen vom "Genie"- führt natürlich zu einer Kunst, die endlos spannender ist als die sozialpädagogische Kunst die in unseren Kunstvereinen nach der Ermordung des Genies in den 60/70 er Jahren des letzten Jahrhunderts stattfindet. Dies nur als Nebenbemerkung. Bis zu dieser Ermordung zog sich aber über die Boheme und Avantgarden dieser Gedanke durch Bilder und Selbstbilder des Künstlers und der (Sub-) Kultur und wurde zum Rolemodel für den heutigen Menschen schlechthin.

gefördert durch kunst.
Wir sind heute ständig in der Pflicht flexibel zu sein und kreativ mit Herausforderungen umzugehen, sprich es gibt nicht mehr die Sicherheit und Beständigkeit gewährenden Zusammenhänge, die Sennett und Weber Bürokratie nennen, oder langfristige, homogene Biografien, sondern prekäre Situationen die zu einem fragmentierten Leben und Selbst führen. Der Tod des Subjekts als Entinität ist kein philosophisch interessanter Gedanke, sondern eine bittere Realität voller Angststörungen, Depression und Prozac. Die Mentalität der ach so erstrebenswerten digitalen Boheme es "Arbeit zu nennen" geht einher mit einem Preis der materiellen und psychischen Unsicherheit, der ständigen Selbstausbeutung und -überforderung. Gepaart und gesteigert im Zeichen des Kapitalismus geht das ganze mit der Kulturindustrie eine Allianz zu einer Creative City ein, die auf Ausschluss von weniger kreativbegabten und geschäftsüchtigen Ich -AGs beruht. Kreativ heißt auch immer alles zu verwerten, es wirtschaftlich nutzbar zu machen, denn nur das ist wirklich kreativ, was sich finanziell auch lohnt. Was nicht dem Zweck der Finanzoptimierung dient, ist ein verkanntes Geniegebahren und damit heute obsolet, da ja das Genie bekanntlich im Sarg neben dem Subjekt vermodert. Was gut ist, so lautet die perverse Logik, setzt sich am Markt schon durch, ansonsten muss man kreativ mit der Situation umgehen und eventuell eine Werbeagentur mal kreativ werden lassen. Kreativ heißt hier und heute nix anderes mehr als marktaffin zu sein. Kritik ist nicht oder nur in dem Mass gewünscht, dass sie als Ablassventil des Drucks und zur Selbstbestätigung der Gemeinschaft dient.

Wir erhalten in unseren Jobs größere Freiheiten und wünschen uns alle einen zwanglos, verspielten Job bei Google, aber wir sollten begreifen, dass mit dieser Technik der "laissez-faire" Kontrolle, nur unsere Wirtschaftlichkeit als Humankapital gesteigert wird. Wir, die Duracell-Batterien des Kaninchen Kapitalismus trommeln so noch länger und besser.

Gerade die Kunst und Kultur dienen nur der Etablierung von Logos und Marken, seien dass die "Marke Hamburg", Red Bull, Eon oder eben Documenta und CCB. Da sollten wir mal drüber nachdenken.

Deshalb: Kreativität - nein Danke.



Literaturhinweise:

1) http://www.suhrkamp.de/buecher/die_erfindung_der_kreativitaet-andreas_reckwitz_29595.html
2)
http://www.berlinverlag.de/bucher/bucherdetails.php?isbn=9783827006004 inzwischen auch als taschenbuch
3) http://www.uvk.de/buecher/db/titel/details/der-neue-geist-des-kapitalismus////ch/62081d11f6eb005c62a5574e2d11c710/
4) http://www.suhrkamp.de/buecher/die_kunst_der_freiheit-juliane_rebentisch_29613.html
5)  http://www.edition-nautilus.de/programm/politik/buch-978-3-89401-726-2.html



1) Dazu wird sich der Autor dieser Zeilen bestimmt auch nicht verkneifen können, noch mal ein paar Worte fallen zu lassen.

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